Etwa ein Viertel der Bundesbürger möchte nicht wählen gehen bzw. ist diesbezüglich noch unsicher.* Von diesen 26% gehören sicher einige zu denen, die einfach keine Lust haben, sich mit irgendetwas auseinandersetzen zu wollen. Es gibt aber auch einen Teil, der sich bewusst dafür entschieden hat, sich aus dem Ganzen herauszuhalten. So vielfältig die Gründe sein mögen, letztlich geht es darum, dass diese Nicht-Wähler keine der Parteien unterstützen möchten und nicht an die (richtige) Politik fürs Land glauben. Sie möchten sich von dem System bewusst distanzieren.
Angesichts dessen, dass sich die Programme der großen Parteien in vielen Punkten überschneiden und eine Abgrenzung somit manchmal schwer fällt, kein Wunder. Auch der Ausblick, dass kleine Parteien mit ihren zum Teil völlig unkonventionellen Ansätzen wenig Aussicht auf Erfolg haben und somit die Wirkung gleich Null zu sein scheint, verstärkt vermutlich den Politikverdruss. Aber es ist nicht nur das Gefühl vermeintlich nichts ändern zu können und die Enttäuschung über die jetzige Politik. Es geht um mehr.
Die eigene kleine Welt
Immer mehr Menschen entziehen sich dem sogenannten System. Dem Hamsterrad. Sie wollen nicht Spielball der Reichen und Mächtigen sein, sondern ihr Leben selbst in die Hand nehmen, sich nicht von irgendwelchen Bedingungen abhängig machen, die sie doch so nie gewählt hätten. Sie entscheiden darüber, ob ihre Kinder in die Schule gehen oder geimpft werden, sie entscheiden, welche Zutaten in ihr Gericht kommt, sie entscheiden, wie ihre Kräuter und ihr Gemüse angebaut werden, sie entscheiden wie, wann und wo sie arbeiten, sie entscheiden sogar, wer zu ihrer Gemeinschaft gehört und wer nicht. So bildet sich eine Vielzahl verschiedenartiger Gruppen. Es ist die Zeit der Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen. Es ist einfacher denn je, ein Leben fernab des gesellschaftlich allgemein gültigen Verständnisses zu führen. Und es ist einfacher denn je, Gleichgesinnte unter den Exoten zu treffen, Gemeinschaften zu bilden oder sich zumindest als eine solche zu fühlen.
Vielen dieser Gemeinschaften wohnt der Gedanke inne, eine bessere Welt für sich zu schaffen und sich abzukehren, von all dem, was in der Welt falsch läuft. Die Welt soll von Innen heraus zu einem besseren Ort gemacht werden, von ‚unten‘ so zusagen. Als Individuum passt man seine Umwelt seinen Vorstellungen an. Es finden sich Personen mit ähnlichen Ansichten zusammen, welche schnell von einer kleinen Gruppierung zu einer lebendigen Gemeinschaft werden. All die Mitglieder dieser Gemeinschaft stimmen zum Großteil in ihren Anschauungen überein und schaffen so für sich eine gesündere, bessere Gesellschaft. Viele dieser Gemeinschaften leben nach interessanten und erstrebenswerten Prinzipien und Zielen.
Doch leider hat die Sache einen Haken. Der Mensch funktioniert so nicht. Die Menschheit ist mannigfaltig. Und so sind auch die Vorstellungen, Wünsche und Lebensweisen der Individuen. Würde dieser Trend Einzug halten und den Großteil der Gesellschaft betreffen, gäbe es eine Vielzahl an Gruppierungen – die früher oder später aus unterschiedlichsten Überzeugungen heraus aneinander geraten würden. Früher oder später müssten Regelungen und Kompromisse getroffen werden. Früher oder später müsste politisch gehandelt werden. Würden sich weiterhin, wie heutzutage, nur einzelne Gemeinschaften formen und vom System abgrenzen, lebten sie für sich vielleicht ein Leben nach ihren Vorstellungen, aber eine Veränderung der Zustände würde nicht bewirkt werden. Auch wenn ihre Absichten vermeintlich ‚ehrenhaft‘ wären, weil sie versuchten, als Individuum ein gutes Leben zu führen und andere dazu inspirierten ähnlich zu leben, hätten sie doch keinen großen Einfluss auf das Leben der Mehrheit der Bevölkerung. Denn dieser (Einfluss) ist nur ganzheitlich möglich, wenn man Verantwortung übernimmt, wenn man sich mit der aktuellen Lage auseinandersetzt und aktiv beteiligt. Nicht wegschauen und zurückziehen, sondern die Missstände in der Welt aktiv angehen, sich einsetzen für bessere Umstände. Auch wenn das bedeutet, Kompromisse einzugehen, andere Lebensweisen zu akzeptieren und einzubinden, sich Schwierigkeiten stellen. Das heißt Politik machen. Wenn man sich bewusst ist, was man selbst für eine Welt möchte, ist das schon einmal die beste Voraussetzung auch im Großen Veränderungen entgegenzutreten und mitzugestalten. So sollte man dieses Potential ergo besser für das Wohl aller nutzen, anstatt sich zurück- und der Verantwortung zu entziehen.
Ein jeder bestimmt die Zukunft mit
Und so ist es auch mit den Wahlen. Als Frau hört man die Tage häufiger, wie sehr man es doch schätzen sollte, zur Wahl gehen zu können, mitbestimmen zu können. Wie lange wurde dafür gekämpft? Und nun tritt man dieses Engagement mit Füßen? Und es stimmt, es wurde hart dafür gekämpft, dass auch Frauen die Politik mitgestalten können. Wir – weder Mann noch Frau – sollten es uns nicht nehmen lassen, genau dies auch zu tun, sondern unseren Beitrag dazu leisten, die Politiklandschaft selbst zu formen, indem wir ihr unsere Stimme geben. Durch Wählen der Parteien, die einem am ehesten zusagen. Durch aktive Mitarbeit in der Politik. Durch eine eigene Politik. Ich glaube nicht, dass es der richtige Weg ist, dem Land den Rücken zu kehren, dessen Politik man nicht gut findet. Sondern, sofern es möglich ist, selbst die Veränderung zu sein, die man für sich möchte und für eine gerechte Welt einzustehen und dabei den Widrigkeiten zu trotzen, die ein solcher Einsatz mit sich bringen. Denn ja, Politik bedeutet Lobbyismus, Macht und faule Kompromisse. Aber eben auch Recht, Demokratie und Schutz. Natürlich bedeutet das nicht, dass das individuelle Streben nach einem guten Leben unterlassen werden sollte. Denn auch von innen heraus, von ‚unten‘, lässt sich die Gesellschaft verändern, nur eben nicht allein. Denn es gehört auch dazu, sich nicht lediglich für Gleichgesinnte einzusetzen, sondern für alle Bevölkerungsgruppen und zu versuchen, allen die Voraussetzungen für ein bestmögliches Leben zu schaffen und in allen Gesellschaftsschichten wirksam zu werden.
Auch ich würde mich manchmal gerne in meine (heile) Welt zurückziehen, selbst eine Welt kreieren, die ich für mich und meine Familie als gut empfinde, abkehren von den bösen Machenschaften der Mächtigen. Doch ich weiß, dass ich dadurch die Gesamtzustände nicht ändere, dass ich dadurch das Geschehen gesamtgesellschaftlich betrachtet weder bzw. nur bedingt beeinflussen noch steuern kann. Schlimmsten Falls ermögliche ich durch meinen Rückzug sogar, dass Staatenlenker an die politische Spitze geraten, die für gewisse Menschengruppen massiv negative Auswirkungen haben könnten.
Die Autonomie, über die wir in diesem Land verfügen, sollten wir nutzen, um noch mehr positiven Wandel in der Welt voranzutreiben, Missstände zu beheben und Unzufriedenheiten auszumerzen. – und das nicht nur still und zurückgezogen, sondern laut und aktiv. Nutzt eure Stimme, um die Veränderung in der Welt zu sein, die ihr sehen wollt. Dabei sollten wir versuchen nicht nur auf uns, sondern auch auf die Gesamtheit der Bevölkerung zu schauen. Denn mit unserem Rückzug aus dem politischen Geschehen und der Aufgabe unserer gesellschaftlichen Verantwortung, besteht die Gefahr, Mächten Kompetenzen zu zusprechen, die Gift für eine bunte, vielfältige und friedliche Gesellschaft sein könnten.
Wie seht ihr das? Was sind eure Beweggründe euch zurückzuziehen bzw. an der Front zu kämpfen? Ich würde dazu gerne eure Meinung in den Kommentaren lesen 🙂
*Siehe http://www.n-tv.de/politik/SPD-verliert-an-Sympathie-article19844647.html
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