War es vor 2/3 Jahren noch eher unbedenklich in die Türkei zu reisen, überlegte man es sich seit den vielen Anschlägen im Jahr 2016 zweimal, ob man nicht doch lieber auch nach Thailand, Griechenland oder Malle fliegen sollte. Die politischen Spannungen der letzten Tage haben nun ihr Übriges dazu beigetragen: Der deutsche Tourismus in der Türkei liegt brach.
In Istanbul keine Spur von Touristen – und Konflikten
Von dieser Tatsache konnte ich mich vor einer Woche überzeugen. Die Hotels bleiben leer, Bazare und große Menschenansammlungen werden von den Deutschen gemieden. Sicher, es ist nicht gerade Hochsaison, aber für eine Städtereise übers Wochenende herrschen ideale Bedingungen: Es ist Nebensaison und somit günstiger als in der Hauptsaison, das Wetter ist eh noch nicht ideal für den Strand und kurze Ausflüge bereichern den Alltag.* Dabei bietet Istanbul alles, was das Reise-Herz begehrt. Es ist eine aufregende, extrem vielseitige Stadt mit günstigem Essen und Fortbewegungsmitteln, Kultur, Shopping und wunderbaren Menschen. Bis auf die Händler auf dem Grand Bazar, die anscheinend lediglich darauf aus sind, Touristen abzuzocken, erlebte ich die Türken in Istanbul als ein freundliches und offenherziges Volk. Ich hatte in keinem Moment Angst vor einem Anschlag und so schien es allen zu gehen. Obwohl reges Treiben herrschte, war die Atmosphäre sehr entspannt.
Nun ist die Situation zwischen Deutschen und Türken schärfer geworden – könnte man zumindest meinen. In Istanbul ist davon nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil, ich wurde überall herzlich aufgenommen und kam mit vielen Menschen ins Gespräch. Die meisten dieser Leute äußerten sogar harsche Kritik an der türkischen Regierung und große Bedenken, was die Zukunft betrifft. Dieser Eindruck entstammt natürlich nur meiner eigenen Erfahrung und lässt sich, wenn überhaupt, nur auf die Menschen in Istanbul beziehen. Dennoch spiegelt die Politik eines Landes nicht per se die Einstellung der Bevölkerung wider.
Wenn Menschen aufgrund der politischen Gegebenheiten leiden müssen
Und damit sind wir beim Thema. Es ist richtig, politische Strukturen und Machthaber zu benennen und anzuprangern, welche Menschenrechtsverletzungen begünstigen, tolerieren oder gar unterstützen. Und es ist auch richtig, sich dafür einzusetzen, diese Defizite zu eliminieren.
Aber ist es der richtige Weg dieses Land dann zu boykottieren?
Die Menschen, die darin leben mit zur Verantwortung zu ziehen und auch diese zu boykottieren? Ja, auf Missstände soll aufmerksam gemacht werden und auch die Bevölkerung jenes Landes darf die Augen nicht davor verschließen. Aber die Bevölkerung abzulehnen halte ich für kein adäquates Mittel. Denn zum einen kann dies, da wir ja dann alle unter Generalverdacht stellen, ein Feindbild auf der anderen Seite hervorrufen. Zum anderen können wir die Bevölkerung nicht direkt erreichen. Ich bin der Meinung, dass sich durch einen einfachen Dialog beider Völker ein Verständnis für den anderen einstellen und Klarheit auf beiden Seiten geschaffen werden kann. Man kann sich über seine Positionen, Befürchtungen und Erwartungen austauschen und somit eine ganz andere Verbindung zu diesen Menschen aufbauen.
Denn auch nur so erfuhr ich, wie es den Menschen in Istanbul ergeht. Sie leiden unter der Regierung, haben Angst weggesperrt zu werden und fühlen sich dieser Situation ohnmächtig gegenüber. Sie leiden, weil Ihnen Kundschaft fehlt. Und sie leiden, weil eine weltoffene Stadt (ein weltoffenes Land) so zerstört wird.
Istanbul ist wirtschaftlich nicht einzig vom Tourismus abhängig. Es ist auch das Finanz-, Handels- und Kulturzentrum der Türkei. Der Wegfall von Touristen tut zwar weh, es bedeutet aber auch nicht den Untergang für diese wunderbare Stadt. Für andere Regionen kann dies jedoch der Fall sein. Es werden somit Existenzen zerstört. Statt eines Denkzettels, der wünschenswerterweise zur Änderung des Verhaltens führt, verpasst man der anderen Partei mit seinem ablehnenden Verhalten einen tiefen Schlag in die Magengrube. Auf diese Weise wird sich womöglich die Missgunst zwischen beiden Nationen nur noch vertiefen.
Solche politischen Spannungen entstehen häufiger. Denkt man doch nur zurück an die Russland-Krise im Jahr 2014 als von der EU sogar Sanktionen verhängt wurden, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch hier führte das Verhalten der Regierungen zu Generalisierungen der deutschen Bevölkerung den Russen gegenüber, obwohl die russische Bevölkerung selbst unter dieser nicht selbst gewählten Situation sehr litt. Doch manchmal kann man keinen harten Cut zwischen dem Verhalten der Regierung und deren Bevölkerung machen. Dann wird es schwierig.
Was wenn die Gesellschaft nach diesen moralisch verwerflichen Regelungen lebt?
Für uns kann etwas moralisch verwerflich sein, für eine andere Gesellschaft völlig legitim. Was also, wenn von uns empfundene Missstände durch das Zutun der Bevölkerung etabliert werden?
In diesem Fall könnte man tatsächlich jenes Land meiden. Es gibt viele Staaten, in denen beispielsweise die Frauenrechte bei weitem nicht an die innerhalb Deutschlands herankommen. Ob man sich das als Frau ‚antun‘ und in jenes Land reisen muss, ist natürlich ein Gedanke. Doch gibt man dem keine Chance, hat man vielleicht selbst nie die Gelegenheit, die Situation zu verstehen, zu sehen, dass es so viele Andersdenkende auch in diesen Ländern gibt und man hat auch vielleicht nie die Möglichkeit eine Veränderung der dortigen Missstände zu bewirken. Und ich meine an dieser Stelle nicht, dass das deutsche System und die hiesige Demokratie das Nonplusultra darstellt und auf jedes andere Land angewandt werden sollte. Ich rede von wirklichen Menschenrechtsverletzungen, von denen der humane Verstand von Natur aus weiß, dass das so nicht richtig sein kann.
Letztlich besteht doch jedes Land aus dessen Bewohnern und nicht aus der Haltung und Handlung der machtbesessenen Politiker. Es sind die Menschen, die dahinter stehen und die meisten wollen, wie Du und ich, ein friedliches Leben führen. Gib ihnen die Chance Dich und deine Überzeugungen kennenzulernen. Denn beschäftigt man sich mit der fremden Kultur – völlig unvoreingenommen – lernt Land und Leute sogar persönlich kennen, kann dies die Augen öffnen. Vielleicht werden eigene Wertvorstellungen über Bord geworfen oder aber man erreicht Personen des anderes Landes.
Und ich finde, das ist es allemal Wert – auch wenn es Kapital in ein vielleicht marodes System spült.
Wie seht ihr das? Würdet ihr ein solches Land bereisen? Ich bin gespannt auf eure Meinung dazu!
*Reisen mit Flugzeugen sollten trotzdem aufgrund der starken Klimabelastung nicht all zu oft in Anspruch genommen werden.
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